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Zu Hans Beltings Überlegungen zum „islamischen Film“

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Am Set von Tewfiq Fares "Les Hors-la-loi"; Bildrechte: Splendor Films http://www.splendor-films.com/

Anläßlich eines Themenheftes von Third Text zu Cinema in the Muslim World im März macht sich Hans Belting1, nachdem er sich mit seinem Buch Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks in den deutschen Feuilletons eine Art Vermittlerexpertenposition erschreiben hat, einen Kopf, ob es ein „islamisches Kino“ gibt. Zu den Positivpunkten zählt, dass Belting das Inhaltsverzeichnis und das Editorial des Themenheftes gelesen hat und also wiederzugeben weiß, dass: „Schon die Themenwahl ‚Kino in muslimischen Gesellschaften‘ wird in der Einleitung (des Themenheftes; ft) mit der Feststellung problematisiert, dass muslimische Gesellschaften in Asien, dem Nahen Osten oder in Afrika kaum vergleichbar sind.“ Das ist in deutschen Feuilletons ja leider schon hervorhebenswert, wenn man bedenkt, dass Islam hierzulande ja meist gleich arabisch gedacht wird. Indonesien oder Malaysia finden bei den Debatten um Islam//Islamismus//Bedrohungsgefühl//politischer Islam fast keine Beachtung. (Übrigens interessant: es gibt eine Wikipedia Kategorie „Islam by country„.)

Beltings Text, der ein eigenartiges Hybrid aus Besprechung des Zeitschriftenbandes und eigenen Überlegungen ist, kreist im Folgenden vor allem um Fragen der Deutungsmacht über die Bildpolitiken der Filme und die Frage des Umgangs mit diesen Filmen, die Belting offenbar für grundsätzlich problematisch hält. So schreibt er gleich zu Beginn des Artikels: „Und doch bleibt die Frage, wie eine Filmkritik mit Regisseuren umgeht, deren Umwelt sie nicht kennt und deren Werk sie nur mit den Kategorien beurteilt, die gewöhnlich für Filmkunst zur Verfügung stehen.“ Einfach gesagt: mir ist nicht klar, was das Problem ist: einerseits gibt es unablässlich Situationen in denen „die Filmkritik“ über Kontexte schreibt, von denen sie wenig bis keine Ahnung hat. Im Umgang mit allen arabischen, iranischen, malaiischen, indonesischen Filmen ist mir bisher jedenfalls nicht aufgefallen, dass die Probleme grundsätzlich andere sind.

Es versteht sich wahrscheinlich von selbst, dass Wissen über den Kontext, in dem Filme entstanden sind, nicht schadet. Und je nachdem wo mensch lebt, führt das zu unterschiedlich guten Kontextualisierungen. Das hat aber mehr mit (Kennen-)lernen und Neugier zu tun als mit „kultureller Herkunft“. Film als populäre Form greift eben an vielen Stellen Bezüge aus anderen populären Künsten auf. Für ältere arabische Filme beispielsweise ist es meist schwieriger nachzuvollziehen wie populär die Sänger_innen, die in dem Film auftreten damals waren und was ihre (politischen/gesellschaftlichen) Konnotationen waren als die Filme auf ihrer Ebene als Film zu verstehen. Und schließlich, warum sollte es schwieriger sein, einen arabischen Film zu sehen als eine thailändisch-japanische Koproduktion. Zu den in vieler Hinsicht unverständlichsten Filmen, die ich kenne zählt zumindest Pen-Ek Ratanaruangs Last Life in the Universe; den Film durchzieht ein Bezug auf ein Kinderbuch von einem japanischen (Post-?)faschisten und das Symbol eines Salamanders. Was das will, ist mir vollkommen unklar. Arabische und iranische Filme lassen sich also sehr wohl mit dem üblichen Umgang mit Filmen behandeln.

In anderer Hinsicht weist Beltings Ansatz allerdings auf ein Problem hin, dass sich im Umgang mit Filmen ganz allgemein stellt: Filmpresse, Filmkritik versucht viel zu oft eine, möglichst die, Erklärung für einen Film zu geben. Es ist ziemlich selten, dass Fragen, die nicht beantwortet werden können aufgemacht werden. Dabei geht es eigentlich nie darum, einen Film zu erklären. Es ist – zumindest mir – auch oft ziemlich egal, was ein_e Regisseur_in mit seinem_ihrem Film „meint“. Filme sind nach ihrer Produktion da und im günstigsten Fall sind sie eine Art reflexiver Resonanzraum für Debatten an dem Ort, wo der Film gerade läuft und rezipiert wird. Das führt mich zu einem weiteren Kritikpunkt an Beltings Text: der Ausblendung der Rezeption. Belting erwähnt zwar, dass Filme im Gegensatz zu „Kunst“ auch „am Ort“ rezipiert werden. Aber eben nur dass und nicht wie; dabei dürften die relevanteren Unterschiede darin liegen, wie bestimmte Filme in verschiedenen Kontexten funktionieren, wen sie ansprechen und warum, welche Debatten sie auslösen und ob sie etwas neues zu diesen Debatten beitragen oder nicht.

Filmstill aus Tewfiq Fares "Les Hors-la-loi"; Bildrechte: Splendor Films http://www.splendor-films.com/

Belting Reduktionismus in dieser Hinsicht scheint mir zusammenzuhängen mit seinem Filmverständnis: „Die Bilderfrage, die derzeit in der Debatte um ‚den Islam‘ Konjunktur hat, weil sie eine eilige Orientierung verspricht, wird selten auf den Film bezogen, der nur aus Bildern besteht und deswegen in dieser Frage an erster Stelle stehen müsste.“ Film besteht ja nun in keinster Weise „nur aus Bildern“. Film ist ganz im Gegenteil eine höchst komplexe Verbindung verschiedener Ebenen. In den meisten Fällen greifen diese Ebenen auch gar nicht unbedingt harmonisch ineinander. Üblicher (und für die Betrachtung produktiver) sind Brüche, die alternative Deutungen ermöglichen. Die vielleicht wirklich zu wünschende zentrale Rolle der Filmbetrachtung in der „Bilderfrage“ rührt eher von der Verbreitung als von anderem her. Wie sehr Beltings Blick in dieser Hinsicht verstellt ist, zeigt auch ein weiteres Zitat: „Inzwischen haben Filme in solchen Gesellschaften alle Varianten von der Folklore bis zur Filmkunst, vom Märchenfilm bis zum allegorischen Drama oder aber zum Dokumentarfilm durchlaufen, indem sie Grenzen durchbrechen, die sie nicht mehr anerkennen. Dabei ist die Alternative zum westlichen Film, dessen Schatten die Filmemacher loswerden wollen, explizit oder implizit so präsent, dass Filmkriterien nicht greifen können, gegen welche sich die Regisseure entschieden haben, und Missverständnisse, trotz aller Begeisterung über eine exotische Ästhetik, unvermeidbar erscheinen.“

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Belting hier allen Ernstes sagen, will dass Filme die nicht „westlich“ sind, deswegen nicht greifbar sind, weil sie sich nicht an „Genre“grenzen halten. In der bildenden „Kunst“ wie im Film ist dient die beschreibende Bezeichnung „Genre“ meines Erachtens für zwei Dinge: erstens ein bestimmtes Set von Betrachter_innenerwartung zu beschreiben und zweitens als nachträgliche Ordnungskategorie. Der Umgang von Filmemacher_innen (jenseits der Trivialität etwa des „Tatorts“) mit „Genres“ hingegen ist eher, das Publikum berechenbar zu halten und finanzielle Erwartungen oder Experimentelles rezipierbar zu belassen. Ersteres gilt für Blockbuster, letzteres etwa für die Nouvelle Vague oder auch Dominik Graf. In keinem Fall aber ist es ein Problem, wenn Filme nicht den Anforderungen des „Genres“ entsprechen. Das Anerkennen von „Genregrenzen“ ist auch kein Merkmal von Filmen aus bestimmten Regionen, sondern eher eines des Filmverständnisses und Produktionskontextes.

Eine zentrale Kategorie in Belting Argumentation ist der „westliche Blick“. Man möge es mir verzeihen, wenn ich aufgrund meiner Vergangenheit, in der ich Leinwand-Pigmentmischungen auf Gegenständen verteilt habe, sehr allergisch reagiere. Ich weiß, trotz aller Lektüren noch immer nicht, was ein „männlicher“/“westlicher“/sonstwas-„Blick“ sein soll. Meines Erachtens ist das ein plump-essentialisierender Versuch Wahrnehmungsparadigmata zu erfassen und – im Falle des „westlichen Blicks“ – irgendwie an postkoloniale Überlegungen anzuschließen. Wer blickt denn bitte „westlich“? Nur der_die geborene Blutseuropäer_in oder lernt man den Blick auch wenn mensch hier lange genug lebt? Muss mensch dafür eine Prüfung ablegen?

Worauf ich mit dieser Polemik hinauswill: ich sehe keinen Gewinn darin, eine diffus-verklärend dichotome Kategorie wie den „westlichen Blick“ heranzuziehen, um etwa über die Probleme von nicht-europäischen Filmen in Europa zu reden. Um diese Probleme zu artikulieren, reicht es meiner Ansicht nach auf das immer wieder gern vergessene politische Christentum zu verweisen, das zum europäischen Selbstbild gehört und in den letzten Jahren explizit gefördert wird. Es reicht darauf zu verweisen, dass Paradise Now einen bedeutenden Anteil seines Produktionsbudgets vom World Cinema Fund und französischen Geldgebern bekommen hat. Es reicht darauf zu verweisen, dass der EU-Filmmarkt für Filme aus der Menaregion (vor allem aus Nordafrika) ein interessanter Absatzmarkt ist und zugleich die Filmförderungen in vielen europäischen Ländern, nicht zuletzt nach deutschem Vorbild, zu immer ignorant-provinziellerer Filmwirtschaftsförderung werden. Wer von Ressourcenverteilung zu -zugängen nicht reden will, soll sich doch bitte nicht in kulturwissenschaftliches Geschwurbel flüchten, wenn er Neo-kolonialismus nicht benennen will.

Bildrechte: John Green, http://www.musicman.com/00pic/egyptcollecting.html

Das Problem wird an dem Text vollends offensichtlich wenn Belting schreibt: „Auch in dieser Hinsicht ist der hier besprochene Band aufschlussreich, denn er schließt unter den Autoren einige Engländer ein, welche über die kulturell gesetzten Grenzen hinausschauen können.“ Soso, die Engländer können also über die „kulturell gesetzen Grenzen hinausschauen“… Dipesh Chakrabarty hat in einem phänomenalen Aufsatz einmal geschrieben: „Es gibt mindestens zwei sehr verbreitete Symptome für die Subalternität nichtwestlicher Geschichten. Historiker aus der Dritten Welt fühlen sich verpflichtet, die europäische Geschichtsschreibung zu berücksichtigen; wogegen Historiker aus Europa ihrerseits keine Notwendigkeit erkennen, dieses Interesse zu erwidern. (…) ‚Sie‘ verfassen ihre Werke in relativer Unkenntnis nichtwestlicher Geschichten, ohne daß dies offenbar die Qualität ihrer Arbeit beeinträchtigt. Das ist jedoch eine Geste, die ‚wir‘ nicht erwidern können. Wir können uns auf dieser Ebene nicht einmal eine Gleichheit oder Symmetrie der Unkenntnis leisten, ohne Gefahr zu laufen, ‚altmodisch‘ oder  ‚überholt‘ zu wirken.“2 In einem sehr konkreten Sinne geht es beim Umgang mit arabischem Kino auch darum, dieses als Teil der Kino- und Filmgeschichte zu akzeptieren ohne auf Katagorien des „anderen“, des „Welt“kinos zurückzugreifen. Ein Film von Hamouda Ben Halima, von Niazi Mostafa ist im gleichen Sinne Filmgeschichte wie ein kanonischer Klassiker Marke Godard. Das gilt es anzuerkennen und dann entsprechend Filme zu gucken, zu kuratieren, zu besprechen.

Beltings Artikel verkennt ganz grundsätzlich, dass es sich bei arabisch-europäischen/iranisch-europäischen Filmbeziehungen nicht um einseitige Beziehungen handelt. Vielmehr geht es ja gerade um die wechselseitigen Rezeptionen und die Beobachtung dieser Rezeption. In Deutschland bestehen die Rezeption allerdings vor allem in einer Ungleichzeitigkeit von Nicht-rezeption und Reden über. Nicht zufällig gibt es nicht mehr als eine Hand voll Bücher über die verschiedenen arabischen Kinos auf deutsch. Nicht zufällig gibt es genau ein Filmblog auf deutsch zu arabischem Film – Sarahs (arab) film – und nicht zufällig werden dann solche Artikel wie Beltings geschrieben. Ratiba Hadj-Moussa hat in ihrer Feldforschung zum Mediengebrauch in Algerien in den 1990er Jahren immer wieder Stimmen eingefangen, die französische Medien als „Fenster zum Westen“ nutzen, sich aber gleichzeitig über die stereotype Darstellung beklagen.3 In Deutschland muss mensch sich noch immer fragen, ob stereotype Darstellung eigentlich besser oder schlechter ist als gar keine.

  1. Das Kino ist zu schnell fürs Bilderverbot, in: faz.net 3.7.2010. Auf Englisch unter: Western Need for Distance, in: Qantara.de []
  2. Dipesh Chakrabarty: Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte, in: Sebastian Conrad und Shalini Randeria (Hg.):  Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main / New York: Campus 2002, S. 283-312 hier S. 283f. Der Aufsatz ist eine Art Kurzfassung von Chakrabartys gleichnamigen – natürlich mal wieder unübersetzen – brillianten Buch: Provincializing Europe: Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton UP, 2007 [2000] []
  3. Ratiba Hadj-Moussa: New Media, Community and Politics in Algeria, in: Media Culture Society 25 [2003], 4, S. 451-468. []

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